Botschaft von MUTO Ruiko zum 14. Jahrestag von Fukushima
2025 hat weltweit turbulent begonnen. Ich grüße Sie, die Sie sich für eine Welt ohne Atomenergie einsetzen, ganz herzlich.
Im Sommer letzten Jahres hatte ich Gelegenheit, die Zone in Fukushima zu betreten, die zu den Gebieten gehört, „in denen eine Rückführung schwierig ist und in die die Evakuierungsanordnungen weiterhin bestehen“. Das Krankenhaus, aus dem alle Patienten fliehen mussten, von denen aber über 50 auf der anstrengenden Flucht gestorben sind, ist nun von dichten Bäumen und Gras bedeckt. In dem Altersheim, aus dem alle Bewohner ebenfalls in Eile fliehen mussten, sind noch immer Betten, Windeln, Medikamente und allerlei Dokumente durcheinander zerstreut, so wie sie hastig zurückgelassen worden sind. Auf dem Whiteboard ist das aufgeschriebene Menü der Mahlzeit am 11. März 2011 zu sehen. In der Grundschule steht auf jedem kleinen Schreibtisch eines Klassenzimmers ein Wörterbuch. Schulranzen, Schuhe, Eimer zum
Auswaschen der Malpinseln, umgefallene Fahrräder sind noch heute alle genauso, wie sie damals zurückgelassen worden sind. Es gibt dort kein menschliches Geräusch zu hören, nur das Konzert der Zikaden umhüllte uns. Bis der Nuklearunfall passierte, gab es hier einen lebendigen Alltag. Jetzt ist niemand dort. Solche Gebiete existieren heute, das ist die Realität.
Nur wenige Menschen sind tatsächlich zurückgekehrt in die Zone, in der die Evakuierungsanordnung aufgehoben worden ist. Häuser, in die niemand zurückkehrt, werden eins nach dem anderen abgerissen. Auch solche Tore oder Lagerhäuser aus der Edo-Zeit, die als Denkmale geschützt waren, wurden abgerissen. Gleich neben den abgerissenen Denkmälern befindet sich dagegen die Zone, die dekontaminiert wurde, damit sie als „bewohnbar“ gilt. Dort hat man Unterkünfte gebaut, bereitgestellt durch das Budget „für den Wiederaufbau“ der Präfektur Fukushima. In diese Häuser sind Menschen zugezogen, inklusive Kinder, die von außerhalb der Präfektur gekommen waren, da das Wohnen dort mit verschiedenen Begünstigungen verknüpft sind. Laut den Bewohnern kann man hier auch innerhalb der Häuser mit dem Geigerzähler 0,3 μS pro Stunde messen, was 5- bis 10-Mal höher liegt als der Durchschnittswert vor dem Unfall. Hinter den Zäunen, die unweit von Häusern aufgestellt sind, erstreckt sich das Gebiet, in dem die Evakuierungsanordnungen weiterhin bestehen. Ich kann unmöglich behaupten, dass dieses Lebensumfeld sicher wäre.
Aus dem Entwurf des 7. Strategieplans für Energietechnologie Japans, den die japanische Regierung neuerdings vorgestellt hat, ist die Formulierung „die Abhängigkeit von der Atomenergie verringern“ ganz gestrichen. Stattdessen steht die Rückkehr zur Atomkraft groß auf dem Programm. Ich kann unmöglich nachvollziehen, wie man auf Atomenergie setzen kann, während die Nuklearkatastrophe von Fukushima noch immer andauert und nachdem das große Erdbeben auf der Noto-Halbinsel Japans Anfang 2024 deutlich gezeigt hat, dass es nicht immer möglich ist zu fliehen oder zu Hause in Sicherzeit zu sein, wenn ein gravierender Unfall in einem Atomkraftwerk passieren sollte.
Der Oberste Gerichtshof entschied im Jahr 2022, dass der Staat nicht für die Klagen zahlreicher Opfer wegen unzureichender Entschädigung und Haftung verantwortlich ist. Nach dieser Entscheidung deckte ein Journalist auf, dass es eine geheime Absprache zwischen dem Richter des Obersten Gerichtshofs und Tepco gegeben hat. Die Fassade der unabhängigen Justiz Japans bröckelt immer weiter. Da Präzedenzfälle des Obersten Gerichtshofs meistens in späteren Entscheidungen der unteren Instanzen befolgt werden, werden die Prozesse der Opfer des Atomunfalls leider immer schwieriger für die Kläger.
Es wurde in den Medien berichtet, dass 0,7 Gramm von abgeschmolzenen Brennstäben aus dem havarierten Reaktor 2 „erfolgreich“ entnommen sei. Diese Operation, bei der es mehrere vorangegangene Misserfolge gab, offenbarte vor allem die extremen Arbeitsbedingungen mit hohen Strahlungsdosen, unter denen die Arbeiter ihre Aufgaben erledigen mussten. Tepco hatte an allen komplexen und völlig neuen Arbeitsprozessen, in denen man zum ersten Mal versuchte, abgeschmolzene Brennstäbe zu entnehmen, kein einziges Mal als Aufsicht teilgenommen, während sie alle Arbeitsschritte an Subunternehmern komplett ausgelagert hatten. Hier sieht man wieder deutlich, wie unverantwortlich und achtlos Tepco mit riskanten Arbeiten umgeht. Obwohl niemand daran glaubt, dass die Stilllegung des havarierten AKWs 2051 möglich ist, wird der Fahrplan von Tepco gar nicht überarbeitet, nicht einmal eine Strahlungsabklingzeit wird hierbei berücksichtigt.
Nachdem die Verklappung des radioaktiv verseuchten Wassers ins Meer rigoros durch die Regierung und Tepco begonnen wurde, wollen sie als nächstes abgetragene, radioaktiv verseuchte Erde aus Fukushima überall im Land verteilen, um angeblich das Projekt „Wiederaufbau und Recycling“ voranzutreiben. Die Regierung verbreitet vehement und unablässig Propaganda, um jungen Menschen die Mythen einzuprägen, dass radioaktive Strahlen nicht so gefährlich seien und dass das, was die Regierung für „wissenschaftlich“ hält, korrekt und richtig sei. Unter dem Schlagwort „Wiederaufbau“ sind auf leerem Küstenland mehr und mehr Unternehmen und Forschungszentren mit Spitzentechnologien entstanden unter Verwendung großer Mengen an Wiederaufbaumitteln, obwohl man sich schwer vorstellen kann, dass die Betroffenen aus der Gegend solche Unternehmen und Technologien je benötigen würden.
Ein einziger Atomunfall ist imstande, die Lebensgrundlagen, die Heimat und die Menschenrechte von Einwohnern mit Füßen zu treten. 14 Jahre nach der Havarie ist die Lage in Fukushima keineswegs besser geworden, und niemand weiß, was aus Fukushima werden kann. Ich möchte aber beharrlich weiter versuchen zu tun, was ich kann. Dass ich nicht auf diesem Weg allein bin, macht mich stark. Lassen Sie uns weiterhin zusammenhalten!
MUTO Ruiko
Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO
Repräsentantin des Verbindungsausschusses für Organisationen
der Opfer der Nuklearkatastrophe (HIDANREN)

Die Botschaft von Frau Ruiko Muto wurde in fünf Sprachen (Französisch, Deutsch, Italienisch, Rumänisch) übersetzt und auf der Website ‘Yosomono Network‘ veröffentlicht.
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14 Jahre sind vergangen seit dem Nuklearunfall von Fukushima Daiichi, der sich als Folge der Naturkatastrophe vom 11. März 2011 ereignete. Dieser Nuklearunfall ist noch lange nicht vorbei und verseucht weiterhin das Meer, die Luft und das Land.
Ich bin empört darüber, dass keiner der Verantwortlichen des Atomkraftwerkes die Tatsache anerkennt, dass das Fukushima Daiichi noch weit entfernt von einem Zustand „unter Kontrolle“ ist.
Dabei sind noch immer, 14 Jahre nach dem Unfall, sehr viele Menschen auf der Flucht, um die Strahlenexposition zu vermeiden. Die Zahl beläuft sich auf 29.000, zerstreut über alle 47 Präfekturen Japans*1; sie hoffen weiterhin auf Unterstützungen und Beihilfe von der Regierung. Diese Zahl zeigt allerdings nur diejenigen an, die beim Amt für Wiederaufbau registriert sind. Die Regierung hat es seit der Nuklearkatastrophe versäumt, die Zahl der tatsächlich Geflüchteten zu erfassen. Es gibt viel mehr Menschen, die gezwungen waren, aus der Heimat zu fliehen, die aber keinerlei Unterstützung von der Regierung erhalten und unter den prekären Umständen leiden. Gleichzeitig gibt es viele, die sich zwar umzusiedeln wünschen, aber es nicht wagen oder können, da sie auf keine Unterstützung oder Wohnungsbeihilfe der Regierung hoffen können.
Ich bin Mutter von zwei Kindern. Als der Nuklearunfall passierte, waren sie erst drei Jahre alt und fünf Monate alt. Seit dem Unfall lebt mein Mann, der Vater meiner Kinder, in der Stadt Kooriyama in der Präfektur Fukushima, getrennt von uns – ich wohne in Osaka mit den Kindern. Diejenigen, die aus dem Gebiet stammen, das radioaktiv verseucht wurde, aber nicht zur „Zwangsevakuierungszone“ erklärt worden war, sahen sich oft gezwungen, um die vulnerablen Kinder vor der Strahlung zu schützen, auf eigene Faust zu fliehen, meist ohne Ehemänner und Väter. Es gibt heute noch zahlreiche Mütter und Kinder, die auf der Flucht außerhalb Fukushimas leben, ohne dass sie jegliche finanzielle oder materielle Unterstützung des Staates beziehen können.
Wenn die Regierung weiterhin die Atomenergie als nationale Politik fördert und auf keinen Fall auf die Atomkraft verzichten will, bedeutet es im Umkehrschluss, dass sie es in Kauf nimmt, dass die Bevölkerung ungewollten Strahlenbelastungen ausgesetzt werden könnte. Gleichzeitig kann der Staat den Bürgern des fundamentalen Menschenrechts berauben, vor der Gefahr der Strahlen zu fliehen und sich zu schützen. In der Tat werden in Japan die Geflüchteten aus Fukushima stigmatisiert und werden oft zum Objekt des Mobbings, sie werden sogar dafür beschuldigt, dass sie angeblich „üble Gerüchte“ verbreiten und dadurch ihre Heimat schädigen würden.
Hier möchte ich mit aller Schärfe betonen, dass dieses Thema nicht nur uns aus Fukushima betrifft. Fragen Sie sich selbst, Hand aufs Herz, ob Sie, im Fall einer Bedrohung durch nukleare Schäden, den Stärkeren zur Seite stehen wollen, die der Bevölkerung die radioaktive Exposition aufzwingen, oder denjenigen, die ihr Bestes tun, um das Leben und die Gesundheit der Bürger zu schützen. Diese elementare Frage möchte ich gern mit Ihnen teilen.
2025 jährt sich das Ende der Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Letztes Jahr erhielt die Nippon Hidankyô den Friedensnobelpreis und hielt als Vertreter der „Hibakusha“ eine Rede auf internationaler Bühne. Dadurch wurde der Begriff „Hibakusha“ weltweit in den Fokus gerückt. Jetzt ist die Zeit reif dafür, dass man es international als Allgemeingültigkeit anerkennt, prinzipiell das Leben vor radioaktiven Strahlen zu schützen. Ich möchte weiterhin dafür meine Stimme erheben als Strahlenopfer aus Fukushima und für dieses Recht kämpfen. Lassen Sie uns gemeinsam, solidarisch unser elementares Recht einfordern!
Zum 11. März 2025
MORIMATSU Akiko
Vertreterin der Klägergruppe Kansai gegen den Staat und Tepco
Ko-Vertreterin des nationalen Verbindungsausschusses der Klägergruppen aus Opfern des Fukushima-Atomunfalls

Übersetzung: Sayonara Nukes Berlin